Brandanschlag in Berlin: Angriff auf Technologie und Forschung

Es ist einer der folgenreichsten Angriffe auf das Berliner Stromnetz in der Nachkriegszeit. Und er richtet sich offenbar explizit gegen die Wirtschaft – in Form des Technologieparks Adlershof, einem der größten seiner Art in Deutschland. „Wir haben null Strom, wir sind komplett vom Netz getrennt“, sagt Roland Sillmann, Geschäftsführer der Wista Management GmbH , der landeseigenen Betreibergesellschaft.

Es ist Donnerstagvormittag: Seit dem mutmaßlich von linksextremen Aktivisten verübten Brandanschlag auf zwei Hochspannungsmasten im Südosten Berlins sind mehr als 48 Stunden vergangen. Doch die gut 1300 Unternehmen und 18 wissenschaftlichen Einrichtungen im Technologiepark sind weiterhin von der Stromversorgung abgeschnitten. Dazu gehören Großkonzerne wie Siemens, industrieller Mittelstand wie Jenoptik oder Start-ups wie Carbon One. Sie alle erzielten mit insgesamt mehr als 29.000 Beschäftigten im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund vier Milliarden Euro.

Genau darauf haben es die Drahtzieher hinter dem Anschlag abgesehen – glaubt man dem Bekennerschreiben, das noch am Dienstag veröffentlicht wurde und von der Polizei als authentisch eingestuft wird. Der Anschlag gelte den Technologiefirmen und Forschungseinrichtungen aus den Bereichen Informationstechnologie, Robotik, Bio- und Nanotechnologie, Raumfahrt sowie Sicherheits- und Rüstungsindustrie in Adlershof, heißt es in dem Schreiben, das unterzeichnet ist mit „Einige Anarchist:Innen“. Der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz des Landeskriminalamtes ermittelt.

3000 Unternehmen ohne Strom

„Wir gehen davon aus, dass wir als letzte wieder ans Netz gehen“, sagt Wista-Chef Sillmann. In den ersten Stunden nach dem Brandanschlag waren mehr als 50.000 private Haushalte und gut 3000 Unternehmen vom Stromnetz abgeschnitten. Der kommunale Versorger Stromnetz Berlin , der für in der Hauptstadt für mehr als 35.000 Kilometer Verteilnetz zuständig ist, kündigte an, alle privaten Haushalte und Gewerbekunden bis spätestens Donnerstagabend wieder mit Strom zu versorgen. Der Technologiepark selbst hängt am Versorgungsnetz der Energienetze Berlin (ENB), die zur Blockheizkraftwerks, Träger- und Betreibergesellschaft mbH (BTB) gehört, ein Unternehmen der Eon -Gruppe. „Wir sind darauf angewiesen, dass Stromnetz Berlin eine Lösung schafft“, hieß es bei der ENB mit Blick auf die Versorgung der rund 1700 Kunden im Technologiepark. Denn das Umspannwerk der ENB hängt an der 110kV-Leitung, die vom Brandanschlag betroffen ist. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiere, werde die Versorgung im Technologiepark am Donnerstagabend wiederhergestellt sein, erklärte die ENB auf Anfrage.

Die Zeit im Technologiepark drängt. „Unsere Firmen machen in einer Woche einen Umsatz von 100 Millionen Euro. Wie groß der Schaden sein wird, hängt vor allem davon ab, wie schnell sie den Betrieb wieder aufnehmen können“, sagt Sillmann. Von den Unternehmen selbst heißt es, die Folgen seien gravierend. „Die Kosten und Schäden dieser Unterbrechung werden zweifellos im hohen zweistelligen bis dreistelligen Millionenbereich liegen“, rechnet Sebastian Scheiding vor, Vorsitzender des Vorstandes des Technologiekreises Adlershof. Dieser eingetragene Verein vertritt einen großen Teil der Wirtschaft am Standort.

Forschung und Produktion betroffen

Besonders schwer wiegt Scheiding zufolge, dass operative Analyselabore in ihrer Arbeit behindert werden, die unter anderem für die Trinkwasserüberwachung oder die Kontrolle von Lebensmitteln zuständig sind. Auch die Krebsforschung und andere medizinische Entwicklungsfelder seien betroffen. Wista-Chef Sillmann weist darauf hin, dass vor allem produzierende Unternehmen in Hochtechnologiefeldern wie Photonik, Optik oder Biotechnologie darauf angewiesen seien, dass sich die Stromversorgung vor dem Wochenende wieder stabilisiere. Denn: „Die wollen am Wochenende arbeiten, um den Zeitverlust möglichst schnell wieder aufzuholen.“ Andernfalls drohe dem Standort und seinen Unternehmen ein erheblicher Vertrauensverlust als Partner in hoch spezialisierten, internationalen Lieferketten.

Mit bleibenden Schäden an empfindlichen Geräten oder Datenverlusten in großem Stil als Folge des Stromausfalls im Technologiepark rechnet Sillmann zumindest nicht. „Die meisten Unternehmen sind gut auf einen Stromausfall vorbereitet, auch wenn die außergewöhnlich lange Dauer natürlich besondere Herausforderungen mit sich bringt“, sagt der Wista-Chef.

Ähnlichkeiten zu Angriff auf Tesla

Für die Hauptstadtregion ist es nicht der erste Brandanschlag auf das Stromnetz, bei dem es mutmaßlich linksextreme Täter auf einen Wirtschaftsstandort abgesehen haben. Erst im Frühling 2024 war die Fabrik des amerikanischen Elektrowagenherstellers Tesla in Grünheide das Ziel eines Brandanschlags auf einen Strommasten. Damals wurde die Stromversorgung von Tesla, von einem benachbarten Logistikstandort und von Tausenden Privathaushalten unterbrochen. Eine als linksextremistisch eingestufte Gruppe teilte anschließend mit, sie habe den Anschlag verübt. Der Generalbundesanwalt übernahm die Ermittlungen.

Weil der Brandanschlag vom Dienstagmorgen Ähnlichkeiten mit der Tesla-Attacke im vergangenen Jahr aufwies und nur wenige Tage nach der Ankündigung des Konzerns erfolgte, im Südosten Berlins ein Entwicklungszentrum zu errichten, wurde zunächst spekuliert, dass auch dieser Angriff gegen Tesla gerichtet sein könnte. Konkrete Anhaltspunkte dafür gibt es nicht. Die Bekennerschreiben zu den beiden Brandanschlägen zeigen nur, dass Technologie- und Wirtschaftsfeindlichkeit verbindende Elementen hinter den Attacken stehen. War es im vergangenen Jahr der „grüne Kapitalismus“ von Elon Musk, gegen den sich die Gewalt der Aktivisten richtete, sollte der jüngste Angriff auf das Berliner Stromnetz „dem militärisch-industriellen Komplex den Saft abdrehen“.

„Dieser Angriff, wenn er tatsächlich uns galt, ist kein Angriff auf Berlin-Adlershof, sondern auf Technologie und Wissenschaft in Deutschland“, sagt Roland Sillmann von Wista. Ähnlich äußert sich Sebastian Scheiding vom Technologiekreis Adlershof, der von „einem Angriff auf unsere Gesellschaft als Ganzes“ spricht. Es handele sich um kein Berliner Problem, wird betont. Wenn die Aufräumarbeiten in Adlershof beendet seien, müsse deshalb die Diskussion darüber starten, wie Technologieparks bundesweit als Teil der kritischen Infrastruktur geschützt werden könnten.

„Wenn wir weiter wirtschaftlich in einem innovativen Umfeld tätig sein wollen, in dem Technologien auch für militärische Zwecke zum Einsatz kommen können, müssen wir uns Gedanken machen, wie wir diese Infrastruktur schützen“, betont Sillmann. Das sei auch die Erwartung der in Adlershof ansässigen Unternehmen. Dort jedenfalls wird versichert, man werde die eigene Widerstandsfähigkeit erhöhen und noch resilienter gegen derartige Störungen werden – mit angepassten Notfallplänen und eventuell zusätzlichen Notstromlösungen oder alternativen Netz­verbindungen, zum Beispiel über Satel­liten. Aber auch die Politik müsse re­agieren, fordert Scheiding: „Vonseiten der Stadt erwarten wir, dass die Energie- und Netzinfrastruktur stärker redundant ausgelegt wird, um Ausfälle dieser Dimension künftig abzufangen oder ganz zu ver­meiden.“

passiert am 11.09.2025